Stadtraum
Bahnhof - aktuell

Seit Anfang Juni liegt der «Richtplan Stadtraum Bahnhof Bern» zur öffentlichen Mitwirkung auf. Schon im April beschloss die Behördendelegation der Regionalkonferenz Bern Mittelland, die Variante Bundesgasse aus der Zweckmässigkeitsbeurteilung 2.Tramachse auszuschliessen. Beides veranlasst FÖR. Bern, einen aktualisierten Blick auf die Entwicklung der Planung seit 2023 rund um den Bahnhof zu werfen, um eine breite Diskussion des unbefriedigenden vorläufigen Resultates anzustossen.


1. Keine 2. Tramachse zwischen Zytglogge und Bahnhof – wie weiter?

Die Behördendelegation "ZMB 2.Tramachse Innenstadt" beschloss im April 2025 v.a. auf Druck der Bundesbehörden, die Variante "Bundes-/Kochergasse" nicht weiterzuverfolgen.

Das bedeutet faktisch das Ende der ZMB, da sich die verbleibenden zwei Varianten "Speicher-/Nägeligasse" und "Lorrainebrücke/Viktoriarain" mit dem eindeutigen Mitwirkungs-Resultat als unzweckmässig und politisch chancenlos erwiesen haben. Besonders bemerkenswert war dabei die Stellungnahme der Stadt Bern, welche beide Varianten aus stadtplanerischen Gründen klar zurückwies. Der Mitwirkungsbericht spiegelt die eindeutigen Ergebnisse nur beschränkt – hier eine vollständige Übersicht dazu (Link 1)
Die Mitwirkung hat aber auch klar gezeigt, dass eine Verbesserung des überlasteten ÖV- Abschnitts zwischen Zytglogge und Hirschengraben allseits als dringend notwendig eingeschätzt wird. Hier ist die «2. Tramachse Westperimeter» - die von den Behörden priorisiert wird - ungenügend, weil sie nur lokal an der Haltestelle Hirschengraben ansetzt und vom Zytglogge bis zum Bubenbergplatz keine Verbesserung bringt. Um die akute Überlastung zu mindern, braucht es eine grundsätzliche Überprüfung der Berner ÖV Netz Planung. Dabei sind echte Alternativen gefragt, wie der Verzicht auf die Bahnhof Anbindung einzelner Linien – Stichwort Umsteiger Zyglogge (Link2), oder die Umstellung der Ostermundigenlinie auf Batterie-Trolley Doppelgelenkbusse DGTB – wie das zurzeit auf dem Könizast der Linie 10 umgesetzt wird (Link3).

Diese Vorschläge müssen nun im Rahmen einer vertieften Prüfung ergänzt und evaluiert werden.

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2. Die Planung braucht dringend aktualisierte Prognosen

Die Entwicklung des ÖV verläuft deutlich anders als in den Planungsgrundlagen prognostiziert. Dazu ein paar Beispiele:

Statt der bisher angenommenen starken Zunahme der Anzahl Ein- und Aussteigenden im Bahnhof Bern liegt der durchschnittliche Werktagverkehr 2024 bei 242'000 (SBB + RBS) - nach dem Corona-bedingten Einbruch also immer noch um 6% unter dem 2018er-Wert von 254'000. Um die Prognosen 2030 zum Bahnhof Bern - Werktagsverkehr: 375'000 - zu erreichen, müssten die Fahrgastzahlen innert sechs Jahren um 55% zulegen!

Die schwache Entwicklung der SBB/RBS Fahrgastzahlen ist weitgehend bedingt durch das neu etablierte Homeoffice; hier wirkt sich der Umstand verstärkt aus, dass Bern eine rekordhohe Anzahl Arbeitsplätze und Pendler:innen aufweist.

Auch die Fahrgastzahlen der 21 ins Stadtzentrum führenden Tram/Buslinien liegen 2024 mit 238'000 immer noch um 8% unter jenen des letzten Vor-Corona-Jahrs 2019 (DWV: 259'600). Um die Tramkonzept-Prognosen 2030 (DWV: 401'000) zu erreichen, müssten die Tram/Bus Fahrgastzahlen innert der nächsten sechs Jahre um 75% zulegen!

Anders als bei der SBB/RBS erklärt sich die schwache Entwicklung im Bernmobil Netz auch durch den eindrücklichen Erfolg der Velooffensive und der Micromobilität; diese Entwicklung ist weiter im Gang.

Die 2020 von der Regionalkonferenz RKBM beschlossene Netzstrategie ÖV 2040 ist mittlerweile illusorisch: Um bei Tram/Bus das prognostizierte Total der Spitzenstundenbelastung (28'400) zu erreichen, müssten die Werte verglichen mit dem Jahr 2024 (14'600) um 94% zulegen! (Link4)

Aus diesen Beispielen wird klar, dass die bisherige Planung auf unrealistischen Annahmen basiert und entsprechend falsche, d.h. überhöhte Vorgaben macht.

Netzstrategie
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Dem Amt für öffentlichen Verkehr ist das bekannt, entsprechend wurden die Bedarfsprognosen bei der Planung der Doppelgelenk-Trolleybus Linie Köniz massiv nach unten korrigiert (Link 5). Bisher war der Kanton und die Regionalkonferenz jedoch nicht bereit die Planungsgrundlagen generell anzupassen und sich von der Netzstrategie 2040 zu verabschieden, so auch nicht bei der Testplanung Stadtraum Bahnhof und beim folgenden Richtplan.

Eine Korrektur der Prognosen und die entsprechende Überprüfung der laufenden Planungen ist dringend notwendig, um realitätsbezogene, nachhaltige und stadträumlich verträgliche ÖV Lösungen zu finden.


3. Was sagt der Unesco Managementplan?

Die endgültige Fassung des Managementplans ist noch nicht publik – die Präsentation beim Kontaktgremium Innenstadt ist die aktuellste Quelle. Als eines der Praxisbeispiele diente da der Bubenbergplatz im Istzustand und als (aus Paris importierte) Vision. Wieviel davon ein Traum bleibt ist vorläufig nicht überprüfbar und es kann auch nicht abgeschätzt werden wieviel Verbindliches aus dem Managementplan im Richtplan berücksichtigt ist.

Für die öffentliche Mitwirkung zum Richtplan ist die Publikation des Unesco Managementplans eine wichtige Grundlage - ohne dessen Kenntnis bleibt das Verfahren fragwürdig.


4. Die Testplanung Stadtraum Bahnhof Bern bleibt wolkig

Die Testplanung Stadtraum Bahnhof Bahnhof Bern zielte u.a. auf Visionen für den ganzen Bereich.

Bahnhof Situation

Das erste Projekt entwickelt pragmatisch das Bestehende, belegt aber den Aussenraum mit parkartigem Baumbestand so intensiv, dass kaum Raum bleibt für profane Verkehrsnutzungen.

Bahnhof Situation

Der 2. Beitrag schafft Platz zwischen Schweizerhof und SBB-Aufnahmegebäude, indem er dieses durch eine schmälere Kopie ersetzt. Mit diesem Vorschlag kann die kaum organisierbare Haltestelle im Bereich des Baldachins bei einer Tramerschliessung via Bollwerk vermieden werden.

Bahnhof Situation

Das dritte Projekt entfernt das SBB-Aufnahmegebäude radikal, und füllt den Raum zwischen Heiliggeistkirche und Burgerspital mit einer niedrigen, langgezogenen Halle in freier Anlehnung an den ersten Bahnhof an dieser Stelle.

Das Stadtplanungsamt hat aus diesen Vorschlägen eine Synthese entwickelt (Link7) - mit einem zwangläufig etwas wolkigen Zielbild für die weitere Zukunft. Der Zeithorizont umfasst dabei neben Massnahmen bis ca. 2040 auch solche bis 2060 ff. Hauptziel sind eine stadträumliche Aufwertung des ganzen Bereichs, stark verbesserte Beziehungen zur Grossen Schanze und die Platzierung des Bubenbergdenkmals in der Platzmitte, flankiert mit einer doppelten Baumreihe. Wie sich der ÖV darin einfügen soll, bleibt offen.

Plan Zukunftsbild 2035

Im Kapitel 5 «Synthese des Beurteilungsgremiums» taucht zum Thema Verkehr die erstaunliche Formulierung auf:

«Die Testplanung zeigt auf, dass für beide Varianten der Führung einer zweiten Tramachse (über den Bubenbergplatz oder über die Bundesgasse) grundsätzlich stadträumlich verträgliche Lösungen ausgearbeitet werden können, die auch mit Fuss-, Velo- und Busverkehr funktionieren».

Diese Aussage ist weder im Synthesebericht noch in den Plänen der Testplanung belegt. Sie macht aber den Weg frei für die Richtplanforderung nach einer 2. Tramachse auf dem Bubenbergplatz.

Das Zukunftbild Stadtraum Bahnhof muss mit einem realistischen Planungshorizont 2045 konkretisiert werden - zur Verbesserung der stadträumlichen Qualität, unter Wahrung der verkehrlichen Anforderungen.


5. Der Richtplan macht Festlegungen für den ÖV und formuliert zur städtebaulichen Aufwertung lediglich Wünsche

Auf Basis des Syntheseberichts zur Testplanung hat das Stadtplanungsamt einen Richtplan ausgearbeitet, der nun in die öffentliche Mitwirkung geht. Mit dem Richtplanentwurf vollziehen die Stadtbehörden eine irritierende Kehrtwende.

Bisher galt: «Gestützt auf seine grundsätzliche Einschätzung kommt der Gemeinderat zu folgenden Schlüssen: Eine Linienführung für die zweite Tramachse via Bubenbergplatz-Bahnhofplatz-Bollwerk (Varianten 1 und 2) schliesst der Gemeinderat nach heutigem Kenntnisstand aus, da damit die Verkehrsbelastung des Stadtraums Bahnhof weiter erhöht würde.»

Die Stadtbildkommission stellte fest: «Aus Sicht der SKB ist eine zweite Tramachse über den Bubenbergplatz mit den in der Testplanung erarbeiteten stadträumlichen Zielen, die seiner neuen Bedeutung entsprechen, nicht vereinbar.»

Mitwirkung: In der Mitwirkung wurden die Varianten Bollwerk/Bubenbergplatz mit erdrückender Mehrheit abgelehnt. Ebenso im Rahmen der Echoräume der Testplanung.

Der Richtplan macht nun folgende Festlegungen:

«Aufgrund der ÖV-Netztopologie liegt es in der Natur der Sache, dass die Netzstrategie 2040 relevante Festlegungen im Perimeter Stadtraum Bahnhof Bern enthält. So ist langfristig auf allen Zufahrten zum/im Perimeter Stadtraum Bahnhof Bern mit Gleisanlagen zu rechnen:»

  • Weiterhin auf der Achse Spitalgasse-Bahnhofplatz-Bubenbergplatz-Hirschengraben
  • Künftig auch im Bollwerk (Tram Wyler bzw. zweite Tramachse Ost), auf der Laupenstrasse (zweite Tramachse West) und auf der Schanzenstrasse (Tram Länggasse).

Den allgemein gehaltenen Wünschen für eine stadträumliche Aufwertung stehen im Richtplan vielfach konkrete Festlegungen für die Ansprüche des ÖV gegenüber; dabei bleibt unklar auf welchen planerischen Lösungen diese basieren könnten. Der letzte konkrete Planstand ist derjenige in dem 2021 publizierten «Bericht Planungsprozess Stadtraum Bahnhof - Phase 1.1»

Die Planung ist also wieder (bzw. noch immer) gleich weit wie 2021 - der Richtplan löst keines der sich stellenden Probleme wirklich. Insgesamt erscheint der Richtplan - abgesehen von den behördenverbindlichen Festlegungen für den ÖV - als Auflistung von Wünschbarem und zu Prüfendem.

Der Richtplanentwurf muss präzisiert werden mit konkreten Festlegungen - aufgrund des klarer gefassten Zielbildes. (Mitwirkung FÖR.Bern)


6. Die laufenden Projekte stecken fest

Aufgrund der komplexen stadträumlichen, denkmalpflegerischen und verkehrsplanerischen Fragen ist es nicht erstaunlich, dass gleich mehrere ÖV-Projekte in den Bewilligungsverfahren feststecken. Am längsten trifft das für das Tram Bern Ostermundigen zu. Ein erstes Gesuch für ein Tram Ostermundigen Köniz datiert von 2014, basierend auf planerischen Grundlagen aus den 2010er Jahren. 2021/22 erfolgte eine erneute Publikation nun ohne den Ast nach Köniz als hauptsächliche Projektanpassung; aus dem 1.und 2. Verfahren gibt es eine Vielzahl von offenen Einsprachen – wann das BAV als 1. Instanz entscheidet ist offen (Link 8).

Deutlich besser verlief die Umstellung des Köniz Astes der aktuellen Buslinie Köniz - Ostermundigen auf Doppelgelenk Trolleybusse mit Batterieteilbetrieb (DGBT). Das Projekt wurde 2022 publiziert, 2025 bewilligt und geht 2026 in Betrieb. Es drängt sich auf, zu prüfen, ob diese Lösung auch für den Ostermundigenast funktioneller, nachhaltiger, rascher umsetzbar und günstiger wäre. Das Entlastungspotential für das Stadtzentrum ist jedenfalls offensichtlich, da der DGBT unverändert mit der aktuellen Linienführung via Bundes-/Amthausgasse betrieben würde.

Auch die Überbauungsordnung ZBBS «Hirschengraben» hat noch keine erstinstanzliche Bewilligung durch das AGR. Die Zweckmässigkeit und die Verhältnismässigkeit des «Hirschengrabenprojektes» ist durch den Entscheid, die «2.Tramachse Westperimeter» zu priorisieren, verstärkt in Frage gestellt; falls sie realisiert wird, dient die umstrittene Unterführung einem beträchtlichen Teil der bisher angenommenen Nutzenden nicht mehr und die schwerwiegenden Eingriffe in den geschützten Hirschengraben wären nicht gerechtfertigt.

Viele Einsprachen sind auch gegen den Ersatzneubau des Fischermätteli Tramastes hängig; weil zudem der Grossrat den Kantonsbeitrag zum Projekt ablehnte, ist das Baugesuch aktuell sistiert.

Notwendig ist eine vorbehaltlose Überprüfung der Planungen UeO ZBBS, Tram Fischermätteli und TBO, um alle Optionen für eine koordinierte Planung zu gewährleisten


7. Nun braucht es eine wirklich koordinierte Planung

FÖR.Bern hat bereits bei der öffentlichen Auflage der Ueo ZBBS darauf hingewiesen, dass im Bereich Bahnhof mehrere wichtige Planungen ohne inhaltliche und terminliche Abstimmung parallel laufen (Link 9). Das Scheitern der ZMB 2. Tramachse wirft ein aktuelles Schlaglicht auf die weiterhin fehlende Koordination:

Im Lead bei der ZMB 2. Tramachse ist die Regionalkonferenz Bern Mittelland RKBM. Diese beschloss 2021 auch die Netzstrategie 2040 mit sieben(!) durch das Zentrum führenden Tramlinien. Die RKBM vergibt die nötigen Planungsaufträge stellvertretend für das kantonale Amt für Verkehr an aussenstehende Planungsbüros.

Für die Einbettung der verkehrlichen RKBM-Vorgaben in das Stadtgefüge sind das Stadtplanungsamt und das Tiefbauamt zuständig. Einen sehr starken Einfluss hat auch Bernmobil als konzessionierter Anbieter von ÖV-Leistungen in Bern.

Seit 2023 läuft zudem die Ausarbeitung des Unesco Managementplans, in dessen Perimeter sich der ganze Stadtraum Bahnhof befindet, durch ein Projektteam im Auftrag der Präsidialdirektion.

Es ist offensichtlich, dass die parallellaufenden Planungen zahlreich Schnittstellen, aber auch inhaltliche Konflikte aufweisen. Diese müssen nun - endlich - koordiniert entschieden, abgestimmt zu einer ganzheitlichen und qualitätsvollen Lösung vereinigt und anschliessend in dem behördenverbindlichen Richtplan festgelegt werden.